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Kunst der Nation — 1.1933

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Theunissen, Gert H.: Der Maler Hans Stübner: Eigenart und Entscheidungen
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Zeeck, Hans: Philipp Otto Runge: das Auge der deutschen Frühromantik
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https://doi.org/10.11588/diglit.66549#0017

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Kunst der Nation

5

Der Baler
Hans Stübner
Eigenart und Entscheidungen


Hans Stübner

„Kunstwerke sind von einer unendlichen Ein-
samkeit und mit nichts so wenig erreichbar als mit
Kritik. Nur Liebe kann sie erfassen und halten
und kann gerecht sein gegen sie." So lautet ein
Satz Rainer Maria Rilkes in einem Brief an
einen jungen Künstler. Daß diese bedeutsamen
Worte aus dem lebendigen Zueinander zweier
Menschen genommen worden sind, soll hier noch
bezeichnender sein als das, was ihre großartige
und vertrauensvolle Aussage an sich bedeutet.
Denn Stübner ist ein Maler, der unterwegs ist,
unterwegs zu sich selbst und zur Weltanschauung
durch die Kunst. Wie weit noch das Ziel entfernt
ist, vermag er selbst Wohl am wenigsten zu sggen.
Und — die Rilke-Worte überdenkend — wie würde
man Wachsendem und Reifendem inniger be-
gegnen, denn mit Liebe! Es ist kinderleicht, den
Maler Stübner einzuordnen in das Register mo-
derner Kunst, und klingende Namen europäischen
Formates zu nennen, die ihm, bewußt oder un-
bewußt, mehr als nur Nameu waren und sind.
Aber es ist so viel Unsinnigkeit wie Bequemlichkeit,
das äußerlich Ähnliche und innerlich Verwandte
mit Parallelen zu überzeichnen, dieses billigste
Rezept der Kunstbetrachtung. Stübner weiß, daß
allein in der Einsamkeit das Werk fruchtbar wird;
er haßt den Betrieb und flüchtet vor ihm, wo
immer es ihm möglich ist. Selbst wenn seine
Bilder weniger stark wären und weniger sicher
aufgebant wären von der ordnenden und gliedern-
den Hand eines ausgesprochen tektonischen Malers,
würde man in ihnen Charakter und Zielsetzung
noch genügend erkennen. Mann und Werk sind
eins; sie entfalten sich miteinander, und die
Jahresringe des Wachstums sind deutlich und in
jedem Teil. Das früher Gewonnene wird über-
geführt in das Neue; so veraltet nichts, und alles
ist in stetigem Werden.
Die Landschaftsmalerei ist nicht
nur eine Sache der Objektwahl, son-
dern des Blutes und der Veranlagung. Nicht
jeder, der Acker malt und Heuschober uud Kühe,
spiegelt die Landschaft. Stübner wird das Musika-
lische der Landschaft und der Arbeit und der Men-
schen in ihr zum großen Sinnbild seines Wollens.
Wem das Wort „musikalisch" zu weitab ist, zu
wenig mit der Substanz des Malers verbunden,
der mag sich erst einmal in diese Bilder versenken;
dann wird er erkennen, wie klar sie den tiefen
Grund des tönenden Schweigens innehaben, das
über Hügel und Wälder, über Menschen und Tiere
hingcbreitet ist. Hüten wir uns, in unserem Eifer
und in der berechtigten Begeisterung für die
Wiedererweckung der Landschaftsmalerei allzu grob
die Dinge beim Namen zu nennen. Es bleibt
nicht beim Nennen allein; es lockt allzn bereit die
Versuchung durch die Schlagworte. Und deren
sind heute schon genug in jedermanns Mund, als
da sind: saftig und erdhaft, Schollengeruch und
derb-trotzige Bauernkraft. Sie können zutreffen,
wenn sie auf den rechten, eben auf den zu ihneu
gehörigen Künstler bezogen werden; aber sie wer-
den Peinlich in dem Augenblick, wo man sie als
allein scligmachend angepriesen hört.
Warum das hier im Falle Stübner gesagt
wird? Weil er über diese handfeste Dinglichkeit
binausgeht, indem er sie liebt. Wo aber diese
Liebe ist, da ist zugleich Verklärung und Abstand,
da ist nicht mehr der materielle Zufall, sondern
die Sinngebung. Nicht aus ästhetischen Über-
legungen heraus, wie vielmehr ganz ursprünglick
aus der Farbe, die aus der Tube gedrückt und auf

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des 15. bis einschließlich 19. Jahrhunderts

die körnige Leinwand gestrichen wird. Stübner
schenkt uns die Landschaftlichkeit der Dinge. Das
ist mehr als Landschaft, das ist die Begegnung der
Dinge untereinander, das Tastgefühl des Auges
für die Verwandtschaft alles Gewachsenen. Dieses
Sehen , des Ganzen, unabhängig von allem Zu-
fallsdekor und, vor allem, von Angelesenem und
Aufgeklebtem, muß notwendig den Rhythmus der
ostpreußischen Landschaft wiederfühlen im Heide-
land Ungarns und in dem Gefüge vieler spanischer
Landschaften. Dieses Gelingen Stübners ist mit
Landschaftlichkeit Wohl am besten gekennzeichnet.
Doch wo er auch gemalt haben mag, immer zieht
es ihn zu einem winzigen Stück Erde, auf dem
ein Gartenhaus steht, da draußen in Hoppegarten.
Da draußen — das soll heißen: nicht in der Stadt,
nicht in Berlin, nicht im Steinbruch der Straßen.
Und diese Sehnsucht, rührend und ruhelos, soll
keiner um der Geringfügigkeit ihres Gegenstandes
willen mißachten. Ostpreußen, Spanien
und die Pußta umgrenzen den Gar-
ten, den der Maler Stübner bewirt-
schaftet, da draußen, irgendwo außerhalb
Berlins. Unbekümmerter kann man über die
international bedeutende Stadt Berlin nicht Hin-
wegstapfen. Stübners Farben sind tonig, sie sind
völlig ohne Pathos und Raffinement. Sie sind
die Minerale der Erde, trockene, ein wenig sandige
Farben, die man zu schmecken glaubt und zwischen
den Fingern zu Pulver zerreiben möchte. Es ist
Erde der Heimat. Das Ockergelb geht über in ein
dunkles Kieferngrün, das sparsam hingesetzte Weiß
lockert solche zähe Festigkeit. Und unmerk-
lich verwandelt sich die Farbe in die
Form. Dieser geheimnisvolle Prozeß des
Malens läßt sich nicht beschreiben, den Worten
würde das Trennende und Gedankliche zu sehr an-
haften, wo doch nur das Jneinander-Überfließen
zu verdeutlichen wäre. Dort beginnt ja die wirk-
liche Malerei, wo die Worte belanglos, ja störend
und zerstörend wirken müssen. Stübner sieht die
Dingwelt in ihrer Zweidimensionalität, nicht nur,
weil er es als Maler notgedrungen muß, dem nur
die Fläche, und nicht der Raum, in der Arbeit zur
Verfügung steht, sondern weil er selbst derart
sieht. Das ist seine Eigenart, die seinen Bildern
die Einheit des Künstlerischen verleiht.
Seine Tafelbilder sind Vorstufen zur Fresko-
malerei ; Farbbehandlung, Linienführung und
Wahl der Objekte, oder besser: die Zusammenschau
der Objekte, beweisen diesen Zug. Sicherlich kann
man nicht behaupten, Stübner hätte aus der Not,
keine Aufträge zu Wandmalereien zu erhalten, die
Tugend eines Tafelbildes zur Ausflucht gemacht;


Hans Stübner, Mädchen

aber man ahnt trotzdem die Gefahr, die in dieser
Behinderung sich verbirgt. Gerade heute wird
so viel von Monumentalmalerei geredet, aus allen
möglichen schiefen Erwägungen und Kurzschlüssen
heraus, deren Haltlosigkeit an dieser Stelle nicht
näher beleuchtet werden soll. Wer aber gibt denn
einem Maler wie Stübner die Gelegenheit eines
ihm gemäßen Wirkens? Diese Frage ist eine For-
derung, die ihre Begründung aus dem spezifischen
Können dieses Künstlers schöpft, dessen bisheriges
Schaffen einer solchen grundsätzlichen, selbstver-
ständlich mehr geistigen, als handwerklichen Ent-
scheidung zutreibt, einer Entscheidung seiner
Eigenart, die sich nicht in Problematik verkapseln
darf. 6. H. Ibsunisssn

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der deutseüeii krülrromnntllL:
Philipp Otto Runge
In der Hamburger Kunsthalle, die als einen ihrer wert-
vollsten Schätze nahezu das gesamte Lebenswerk des 1810 im
Alter von 34 Jahren verstorbenen Malers Runge aufbe-
wahrt, hängt neben dem in der Auffassung herben, kolo-
ristisch äußerst stark wirkenden monumentalen Bildnis seiner
Eltern von 1806 auch die Farbenskizze dazu. Sie ist charak-
teristisch für Runges Art und für seine künstlerische Stellung
außerhalb der Kunst seiner Zeit, die jedes Entwerfen so
groß angelegter Kompositionen mit dem farblosen Karton zu
beginnen pflegte. Es ist Spätnachmittag im Garten: Der
olivgrüne Wandhintergrund, Blumen und Blattwerk, mit
dem die beiden Kinder spielen, liegen schon im Zwielicht.
In einem Ausblick über den niedrigen Zaun rechts von den
beiden Alten, dem Mann mit etwas rötlichem Gesicht im
rostbraunen Rock und der Frau, die über grauem Kleid
einen dicken Atlasmantel trägt, weitet sich am Lauf der
blauen Peene mit einigen Booten und Seglern die Niede-
rungslandschaft, das Flußufer der vorpommerschen Stadt
Wolgast, in der Runge 1773 geboren worden ist. Von den
Einwohnern dieses kleinen Gemeinwesens hat der immer
überschwengliche Dichter Kosegarten, der 1785 in das Rek-
torat der Stadtschule berufen wurde und auch Runges Lehrer
werden sollte, als von einem recht guten Menschenschlag ge-
sprochen, „kalt und besonnen, ruhig und vernünftig, regel-
recht und umständlich, geschaffen übrigens mehr, mich anzu-
staunen, als mich zu begreifen".
Es waren patriarchalische Verhältnisse, die die Gemüts-
welt des aufwachsenden, schon früh in eine Nervenkrankheit
gefallenen schwächlichen Kindes beschäftigten. Was die Schule
ihm gab, haftete nicht sonderlich, setzte sich vielmehr in Emp-
findung um. Er zeichnete auch wohl einmal die Straße vor
dem Elternhaus mit Figuren und schnitt viel mit der Schere
aus. Ein von seiner Mutter ererbtes Talent, die von echter
Frömmigkeit beseelt war und von einem Humor, der sie bis
zur letzten Stunde nicht ver-
ließ. Als sie an ihrem Todes-
tage die Sterbeglocken läuten
hörte und eine Nachbarin auf
ihre Frage, wer gestorben sei,
den Namen eines wenig be-
liebten Mannes nannte, meinte
sie: „Ach Gott! Dann möt ick
jo hüt mit den Hundsfott an
die Himmelsdör stöhn". In dem
durch ihre Art bestimmten Fa-
milienkreis, in dem alle Glie-
der mit innigster Liebe zu-
sammenhingen — „mir ist",
schreibt Runge einmal, „als ob
wir alle eins wären. Wir sind
unserer neun, und es ist keines
unter uns, das nicht sein
Leben für den andern läßt"
— liegt auch der Nährboden
für die von dem Maler so
meisterlich erzählten, in den
späteren Drucken bereits ver-
wischten plattdeutschen Mär-
chen. Vielleicht gibt Arnim in
der „Einsiedlerzeitung" von
1808 in der Wiedergabe des
„Machandelboom" noch die ge-
treueste Rungesche Nieder-
schrift: „da wurde se gans ge-
trost und freute sick bett de
neegte maand vorby was dar
kreeg se een Kind so witt as
Snee und so root als bloot
und as se dat sah so freute se
sick so dat se sturv".
Mit achtzehn Jahren ver-
ließ Runge den Lebensraum
seiner Heimat, damals noch
schwedisches Gebiet, zu dem
auch das nahe Greifswald ge-
hörte, in dem der nur um drei
Jahre ältere Freund und Mal-
genosse Caspar David Friedrich

Menschen „von mittlerer Größe, schlank gebaut. Er zeichnet
sich besonders aber durch einen starken Knochenbau aus, den
man an den Händen und Füßen, aber auch im Gesicht er-
kannte. Seine Gesichtszüge waren dessen ungeachtet höchst
einnehmend und bedeutend; jeder der ihn sah, ahnte in ihm
eine phantasiereiche Dichternatur. Seine großen lebendig
sinnenden Augen waren gewöhnlich nach innen gekehrt und
hatten eine unbeschreiblich anziehende Gewalt. Seine dicht-
geschlossenen Lippen waren ungemein zart, und aus den lei-
sesten Bewegungen derselben sprach sich etwas Sinniges und
Geistreiches aus. Er war in Gesellschaft unbekannter Men-
schen still und verschlossen, im vertrauten Kreise aber gab
er sich gern und willig hin."
Schilderungen wie diese, ergänzt durch das, was später
die Hamburger Freunde von ihm künden, kennzeichnen eine
Persönlichkeit, die auf eigene Weise in den Bildungsgehalt
ihrer Zeit eindringt und in den geistigen und künstlerischen
Bestrebungen der Epoche mitwirkt. Nicht im literarischen
Sinne, obwohl er wie wir aus den „Hinterlassenen Schrif-
ten" wissen, wundervolle Briefe, Texte und auch Verse ge-
schrieben hat. Es wird nach seinem Herzen gewesen sein,
wenn Schiller sagte: „Es ist nicht genug, daß alle Auf-
klärung des Verstandes nur insofern Achtung verdient, als
sie auf den Charakter zurückfließt; sie muß auch von dem
Charakter ausgehen, weil der Weg durch den Kopf durch
das Herz muß geöffnet werden: Ausbildung des Empfin-
dungsvermögens ist also das erste Bedürfnis". Aber er er-
klärt auch selbst: „hätte ich es sagen wollen oder können,
so hätte ich nicht nötig, es zu malen" und konnte mit dem
fürchterlichsten Ernst aussprechen, daß dem Künstler, welcher
nicht dahin käme, die Kunst zur Religion zu machen, ein
Mühlstein an den Hals gehängt und ersäuft werden müßte
im Meer, wo das Wasser am tiefsten sei.
Religion war ihm, der nicht dogmatisch dachte und sich
innig in die Mystik Jacob Boehmes eingelebt hatte, gleich-
bedeutend mit Liebe. Darum haßte er, der sich in Kopen-
hagen im klassizistischen Stil versucht und sogar noch die
vier Blätter der „Tageszeiten" in sauberen Umrißzerchnungen
gegeben hat, obgleich er die Einzelheiten scharf zu beobachten
und mit einer Intensität zu gestalten wußte, die an Dürer


aufgewachsen war, und Schilde-
ner, der für die romantische Runge, Selbstbildnis.
Kunst in Norddeutschland noch
nicht ausreichend erkannte An-
reger und Kenner lebte. Runge wollte im Hause seines
Bruders Daniel in Hamburg die Handlung erlernen, zog
aber bald wieder fort, um sich in Kopenhagen und Dresden
für die Kunst auszubilden und kehrte erst 1804 nach Hamburg
zurück. Der Norweger Heinrich Steffens, der den Maler
im Sommer 1801 in Dresden im Kreise von Tieck und den
Romantikern kennengelernt hat, beschreibt ihn als einen

Hamburg, Kunsthalle
gemahnt, im Grunde jede Art von Realismus und war z. B.
überzeugt, „daß Rubens der abscheulichste Barbar in der
Kunst gewesen ist, der so recht das böse Prinzip ausge-
sprochen und festgesetzt; es ist nicht die geringste Liebe für
seine Werke in seinen Bildern spürbar".
Runge, trotz der tiefen „Erdlebenkunst" Caspar D. Friedrichs
der einzige Vollblutromantiker unter den deutschen Malern

Hau8 für unli^e Raumkunst

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